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Veröffentlichung mit freundlicher Zustimmung des Autors
I.
Ende Mai 1377: Reichstag zu Rothenburg. Der eben gekrönte junge König Wenzel bemüht sich, eine schwierige Lage zu meistern: allgemeine Rechtsunsicherheit und Unfrieden; Unversöhnlichkeit, ja Krieg zwischen den schwäbischen Städten und den Fürsten. Wenzel erweist sich als geschickter Taktiker, aber ein allgemeiner Landfrieden für Franken und Baiern bleibt Entwurf, nur eine gewisse Aussöhnung mit den Städten bringt er am 31. Mai voran.
Die kleine Reichsstadt hat dem König zu Ehren ihr Festkleid angelegt. Als besondere Huldigung prangt vom Giebel des eben ausgebauten mächtigen Rathauses das Wappen der böhmischen Könige, neben dem schwarzen Reichsadler und der roten zweigetürmten Burg der Gaststadt. Allzuviel freilich kann die kleine Stadt ihren erlauchten Gästen nicht bieten. Die weitläufige staufische Herzogsburg ist seit dem Erdbeben von 1356 ein Trümmerfeld, auf dessen Areal allerdings höchst aktiv und vielen recht beschwerlich das kaiserliche Landgericht tagt. Die Stadt dehnt sich zwar nach allen Seiten, aber überall beherrschen noch die Steinmetzen den mächtigen Mauerring. Eben hat man auch begonnen, den hohen Chor der Hauptkirche St. Jakob um ein neues Langschiff zu erweitern; knapp daneben steht noch die kleine Kapelle, Hülle einer köstlichen und berühmten Reliquie, dreier Tropfen vom Blute Christi, das Ziel Tausender frommer Wallfahrer — auch der König wird nicht versäumt haben, ihnen seine Reverenz zu erweisen.
Wer näher zusieht oder ein feineres Gespür für die Wesenheit eines Stadtgebildes besitzt, bemerkt bald, dass es in der Stadt gärt und fiebert, nicht von gefährlichen Ausbrüchen, aber von Aktivität, Vitalität, Ehrgeiz und dem Willen zur Geltung. Und wenn er gar zu fragen beginnt, wer dieses Getriebe bewege, wer als Kraft dahinterstehe, bekommt er vielleicht zur Antwort: ein des Regierens seit langem kundiger Rat aus wenigen reichen Familien; oder: eine junge, unbändige Bevölkerung. Es kann aber sein, dass einer, vielleicht hinter vorgehaltener Hand, einen einzigen Namen nennt: Heinrich Toppler.
Wer war Heinrich Toppler? In diesem Mai des Jahres 1377 ein junger Mann, den seine Ratskollegen bereits einmal zum Bürgermeister gewählt hatten, den schon jeder Bürger wegen seiner Fähigkeiten kannte, von dem aber wohl nur wenige ahnten, wozu er in den folgenden drei Jahrzehnten noch fähig war.
Für diesen jungen Ratsherrn scheint der Reichstag in Rothenburg, der ja die großen Themen der Zeit — Städtebünde, Landfrieden, Königspolitik — abhandelte, die Wende gewesen zu sein zu einer Laufbahn hin, die ihn weit über den Bereich seiner Vaterstadt hinausführte.
II.
Die Toppler stammen wahrscheinlich aus bäuerlichem Geschlecht; zu Heinrich Topplers Zeit kennen wir Träger dieses Namens als Bauern vorwiegend in der Gegend südlich von Rothenburg. Um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert ist dem Ahnherrn der Stadtfamilie Toppler, Konrad (I.), die Einwanderung in die nach dem Interregnum aufstrebende Stadt gelungen. Ob er bereits den Aufstieg in den Rat gemeistert hat, wie es die Familientradition behauptet, ist unwahrscheinlich. Diesen entscheidenden Schritt vorwärts in der sozialen Stellung hat erst sein Sohn Konrad (II.) getan, der Vater Heinrichs, der sich zwischen 1352 und 1358 im Rat nachweisen lässt, nachdem er offenbar ein beträchtliches Vermögen durch Handel mit Vieh (er soll mit Schweinen bis zum Oberrhein gezogen sein) und wohl auch mit anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen erworben hat, mit dem er die Berechtigung zum Aufrücken in die Gruppe der ratsfähigen Familien gewann. Bezeichnend für diesen Aufstieg war der Erwerb umfangreicher liegender Güter aus Adelshand (1358: Rimbach, Finsterlohr, Schmerbach), aber auch die Stiftung eines nicht mehr erhaltenen Sebastiansaltars in der Johanniskirche (1357), auf dem er sich stolz mit seiner Familie vom Künstler darstellen ließ. Seinen Wohnsitz hatte er wahrscheinlich schon in der Schmiedsgasse im Hause „Zum Goldenen Greifen", und ebenso vermuten lässt sich, dass er dort eine Gastwirtschaft betrieb wie später sein Sohn, dessen weiteren steilen Aufstieg er noch verfolgen konnte, bevor er, angeblich 1402, starb. Er hat ihm ein beachtliches, wenn auch keineswegs schon dominierendes Vermögen hinterlassen; er hat ihm jedenfalls die Spur vorgezeichnet und die Wege geebnet für eine ungewöhnliche Entfaltung.
Im Haus „Zum Greifen" ist Heinrich Toppler etwa zwischen 1340 und 1350 geboren. Nach dem Stifterbild in der Johanniskirche hatte er noch 5 Geschwister, von denen wohl nur zwei, sein Bruder Hans und eine Schwester unbekannten Vornamens, die Jugendzeit überlebten.
Die natürlichste Basis, auf die Heinrich Toppler seinen Aufstieg stellen konnte, war seine Sippe, die Geschwister und nächsten Verwandten. Wie sein Vater ein Beispiel gesetzt hatte, so begleiteten ihn seine Verwandten sein ganzes Leben lang als unentbehrliche Helfer und Parteigänger.
Da war zunächst sein Bruder Hans, vielleicht älter als er, was seine spätere merkwürdige Rolle miterklären könnte. Er tritt gleichzeitig mit Heinrich 1370 ins Licht der Überlieferung, war häufig zugleich mit ihm Mitglied des inneren Rats, so dass man geradezu von gewissen „Zeiten der Brüder Toppler" sprach, einmal sogar Bürgermeister, als Heinrich 1388 als Feldhauptmann des Schwäbischen Städtebundes nach Bayern zog.
Ähnliches gilt für seinen Schwager Peter Northeimer, der seine Schwester (unbekannten Vornamens) zur Frau hatte. Auch er saß mit Heinrich Toppler gemeinsam im Rat, begleitete ihn auf manchen wichtigen diplomatischen Missionen, betrieb übrigens wie er eine Gastwirtschaft.
Sein Vetter Heinrich, Sohn eines Vaterbruders, stets zur Unterscheidung mit seinem Beruf als Goldschmied bezeichnet, spielte gleichzeitig mit ihm eine nicht unerhebliche Rolle in der Stadtpolitik; besonders in den letzten Lebensjahren seines berühmteren Namensvetters rückte er als Ratsmitglied und Steuerer stark in die Öffentlichkeit.
Die in jeder Beziehung wertvollste Verbindung gelang ihm aber mit seiner ersten Heirat: Barbara Wernitzer, [bitte nach dem Aufsatz lesen, Anm. d. Webmasters] die er gegen 1380 zur Frau nahm, entstammte als offenbar einziges überlebendes Kind des Konrad Wernitzer einer der reichsten, angesehensten, ältesten Patrizierfamilien der Stadt, die sich bis in die staufische Ministerialität aus Rothenburgs Frühzeit zurückverfolgen lässt. Sie brachte ihm nicht nur das größte Einzelvermögen der Stadt zu (Konrad Wernitzer stand 1374 mit 233 1/2 Pfund Heller Steuer mit weitem Abstand an der Spitze der Steuerzahler) und machte ihn zum wirtschaftlich mächtigsten Mann; sie versippte und verschwägerte ihn gleichzeitig mit dem Großteil der führenden städtischen Familien und öffnete ihm das Tor weit für eine glanzvolle Laufbahn.
Als sie schon um 1390 starb, hatte Heinrich Toppler seine Stellung als führende Persönlichkeit Rothenburgs schon so gefestigt und ausgebaut, seine „Hausmacht" so abgesichert, dass er nun Familienpolitik im großen Stile, weit über die Tore der Vaterstadt hinaus, treiben konnte. Nur unter diesem Blickwinkel, als genau berechnete Schachzüge eines überlegenen Politikers, lassen sich seine Heiratsstiftungen in den Folgejahren beurteilen. Er selbst führte als zweite Frau 1392 Margaretha Mayler aus Nördlingen heim, die ihm zwar „nur" 900 Gulden mitbrachte, aber eine intensive Versippung mit der bedeutenden Riesstadt und seiner führenden Schicht dazugab, die neben Ulm und Esslingen eine führende Rolle im Schwäbischen Städtebund spielte; die neugewonnene einflussstarke Verwandtschaft reichte über Donauwörth bis nach Augsburg und München. — Bald darauf, um 1395, setzte er einen neuen Pfeiler seiner festen Verankerung in Rothenburg selbst durch die Verheiratung seiner ältesten Tochter Barbara aus 1. Ehe mit Kaspar Wernitzer, dem Spross einer anderen Linie des weitverzweigten Geschlechts. Damit gewann er neue wertvolle Verwandtschaftsstützen in der Nachbarstadt Dinkelsbühl, wohin Kaspars Vater um 1370 übergesiedelt war und wo sich auch Kaspars Söhne, Heinrich Topplers Enkel, später wieder niederließen.
Eine zweite Periode seiner geschickten, geradezu machtpolitisch ausgerichteten Heiratspolitik eröffnete er 1405. Eine Doppelhochzeit verband seinen Sohn Jakob mit Agnes Waldstromer, seine Tochter Katharina mit Andreas Haller, und damit seine Familie und seine Position mit zwei der mächtigsten Nürnberger Patriziergeschlechter. So wie seine Stadtpolitik immer den Ausgleich und das Miteinander von zwei der tragfähigsten städtischen Positionen der Zeit, eben Nürnberg und den Schwäbischen Städtebund, suchte und fand, so versuchte er erfolgreich, auch sein persönliches Schicksal mit beiden Mächten zu verquicken. Denn Politik ist ja immer auch lebendige Beziehung führender Personen untereinander. — Freilich, wenn man bedenkt, dass die Doppelhochzeit nur drei Jahre vor Topplers Ende stattfand und die Ehekontrakte acht Tage nach seinem Testament ausgefertigt wurden, so lässt sich der Eindruck nicht verwischen, dass er bereits Gefahren zu wittern begann und sich Rückzugspositionen schaffen wollte, wie er es dann auch tatsächlich tat.
Heinrich Topplers Vermögenszuwachs lässt sich aus den drei erhaltenen Steuerlisten dieser Zeit entnehmen. 1374 lag er mit einem jährlichen Steuerbeitrag von 50 Pfund Heller (dem entsprach bei einem Steuerfuß von 2 1/2 % ein Vermögen von ca. 2000 Pfund) an 17. Stelle der Steuerzahler. 1377 hatte er sich mit 60 Pfund hl Steuer bereits auf die 12. Stelle vorgeschoben; und am Ende seines Lebens 1407 stand er mit 310 Gulden Steuer (bei dem inzwischen reduzierten Steuerfuß von l % entsprach das einem Vermögen von 31 000 Gulden) mit weitem Abstand an der Spitze der großen Vermögen.
Den Grundstock dazu lieferte ihm zunächst das väterliche Erbe, das er innerhalb von 3 Jahren beachtlich, nämlich um 20%, vermehren konnte. Die entscheidende Wende seiner Vermögenslage bildete aber seine Heirat mit Barbara Wernitzer und die Mitgift dieser reichsten Erbin Rothenburgs, die sein eigenes bisheriges Kapital bei weitem übertroffen zu haben scheint. Demgegenüber bildeten die 900 Gulden Mitgift seiner 2. Frau eine nur unerhebliche Kapitalsvermehrung. Alles, was zwischen 1380 und seinem Ende an Vermögenszuwachs festgestellt werden kann, ist Topplers eigener, ungemein geschickter und erfolgreicher Haushaltung zuzuschreiben.
Welche Wege beschritt nun Toppler, um mit seinen Pfunden zu wuchern? Zunächst war da die konservativste und sicherste Geldanlage, der Erwerb von Liegenschaften, die er schon deswegen wählte, weil sie der Tradition und dem Wirtschaftsstil des Rothenburger Patriziats entsprach, dem er sich ja durch Heirat und politisches Gewicht mehr und mehr genähert hatte. Auf der Basis der ererbten Güter erwarb er, bezeichnenderweise vor allem nach 1384 (das war wohl kurz nach seiner ersten Heirat) eine solche Fülle grundherrschaftlicher Rechte und Einkünfte, dass er schließlich als der größte städtische Grundherr dastand. Sein wenige Wochen vor seinem Ende sorgfältig zusammengeschriebenes Salbuch gibt uns genaue Auskunft darüber; demnach besaß er 1408 in 118 Ortschaften 333 bäuerliche Anwesen (darunter 6 Großhöfe, 2 Schafhöfe, 36 weitere Höfe und 7 Mühlen), die ihm an jährlicher Gült rund 500 Gulden in bar, 1000 Malter Getreide und 1000 Hühner einbrachten. Dazu kamen 28 Hölzer mit zusammen fast 1000 Tagwerk, 11 Weiher, eine Reihe von Weingärten und eine große Zahl sonstiger Grundstücke: ein wahrhaft fürstlicher Besitz eines einzelnen, der nicht einmal dem alteingesessenen Patriziat angehörte, sondern sich diese private Grundherrschaft in rund zwei Jahrzehnten zusammengekauft hatte! Dass er dabei sicher auch unbedenklich wirtschaftliche Schwächen potentieller Verkäufer, besonders aus dem Adel, vielleicht auch seine überragende stadtpolitische Stellung ausnützte, kann nicht verwundern. Den Wildenhof bei Kirnberg mit über 100 ha Grund kaufte er 1390 für ganze 150 Pfund Heller, eine Hofstatt in Insingen aus einer Pfandmasse für 7 Gulden! Freilich werden sich seine Gegner derlei Manipulationen gemerkt und nicht vergessen haben, sie ihm bei der großen Schlussabrechnung anzulasten.
Dass Toppler die reichen Naturaleinkünfte, vorab Getreide, Holz und Wolle, geschickt und gewinnbringend in den Handel brachte und dadurch sein Kapital vermehrte, ist eindeutig belegbar. Seine weitreichenden familiären und politischen Beziehungen — man denke nur an seine Verwandtschaft in Nördlingen mit seiner großen Messe, in Nürnberg mit seiner Heiltumsmesse — hat er dabei sicher geschickt ausgenutzt. Sogar von Handel mit Wein und Pferden wissen wir; dass er selbst einen glänzend besetzten Marstall mit hochwertigen Pferden besaß, brachte schon seine Tätigkeit als vielreisender Städtediplomat mit sich. — Das alles wurde, da er ja selbst vielfach auf diplomatischen Missionen unterwegs war, überschaut und in Gang gehalten von einem vertrauten Verwalter, den die Quellen schlicht „Schreiber" nennen; er hatte vermutlich auch wesentliche Funktionen bei den Sitzungen des eigenen Toppler'schen Grundherrschaftsgerichts, eines Niedergerichts über die zahlreichen bäuerlichen Hintersassen, das jahrzehntelang ganz offen in seinem Hause tagte, bis es seine Gegner an der Zeit fanden, es ihm als Bruch des Stadtrechts anzukreiden, indem sie es auf die Liste der Anklagepunkte setzten.
Seinen wohl vom Vater ererbten Sitz „Zum Güldein Greifen" in der Schmiedsgasse, ganz nahe am Marktplatz, wo sich um 1400 die Häuser der reichsten Familien konzentrierten, konnte er durch den Erwerb zweier benachbarter Häuser und Hofstätten erheblich erweitern. Das Stammhaus selbst wurde sicher zu einem repräsentativen Sitz ausgebaut, den er in seinem Testament 1405 mit 800 Gulden einschätzte. Dass sein Lebensstil dort großen und wohl auch kultivierten Zuschnitt hatte, lässt sich aus manchen Einzelheiten abnehmen; so wenn der Diebstahl eines Trinkgefäßes im Wert von 50 Gulden gemeldet wird, oder wenn nach 1408 Topplers Witwe einen polierten Stahlspiegel vom Kaplan der Topplermesse zurückforderte. Dass Toppler auch der, wenn auch popularisierten, geistigen Bildung seiner Zeit verbunden war, beweisen seine Bücherschätze, die er in seinem Testament anführt.
Neben dem Wohnhaus besaß er auch noch einen Bauernhof in der Stadt, den er sicher in eigener Regie bewirtschaftete; „der ist mir lieber denn 2000 gulden", wie er in seinem Salbuch vermerkte.
Wie umfangreich Topplers Besitz an Häusern, die er gegen Zins verlieh, in der Stadt war, ist nicht mehr festzustellen, doch scheint diese Art von Geldanlage ähnlich großzügig gewesen zu sein wie sein Grundbesitz, umfangreicher jedenfalls, als die paar Belege ergeben, die wir darüber besitzen. Weniger bedeutend war die Verwendung seines Kapitals für den Kauf von Leibgedingen. Er besaß deren zwei, eins von jährlich 50 Gulden bei der Stadt Würzburg, ein anderes für seine Kinder Barbara und Jakob bei der Johanniterkommende Reichardsroth. Ebenso zurückhaltend war er mit sonstigen Bargeldgeschäften, etwa Darlehensgewährungen gegen Zins. Zwar ist er in den städtischen Obligationsbüchern dieser Jahre oft genug zu finden, aber doch stets nur mit kleineren Beträgen, die 90 Pfund Heller nicht überstiegen und die wohl durchwegs als Niederschlag von Handelsgeschäften und kleineren Transaktionen ähnlicher Art zu werten sind. Ganz offensichtlich lag der Schwerpunkt seiner Finanzkraft in den grundherrschaftlichen Rechten und im Hausbesitz, wenn wir auch annehmen müssen, dass, besonders gegen sein Ende hin, die Erträge daraus immer mehr in einem beträchtlichen Bargeld- und Schmuckhort angelegt wurden, der im Falle einer damals schon voraussehbaren Katastrophe viel mobiler war.
Der „Goldene Greifen" war nicht nur ein stattlicher Wohnsitz, er warf auch als Wirtshaus ansehnlichen Gewinn ab. Das Urfehdebuch dieser Zeit enthält eine Reihe von Einträgen über Streitigkeiten, „üppige Worte" und dergleichen, die beim Wein in Topplers Haus geschahen. Auch hat es den Anschein, als ob Toppler seine Stellung ganz ungeniert dazu benutzte, um durch Einlagerverpflichtungen (Schuldner u. ä. hatten sich als eine Art von Geiseln in offenen Wirtshäusern aufzuhalten, bis die Schuld getilgt war) in seinem Hause seinen Profit zu vermehren — bestimmt auch das ein Punkt, den man ihm bei der Schlußabrechnung 1408 vorzuhalten nicht vergaß.
Denn bescheiden und zurückhaltend war Toppler in seinem ganzen öffentlichen Auftreten keineswegs; vielmehr dokumentierte er sein starkes, durch große Erfolge berechtigtes Selbstbewusstsein, wo immer er dazu Gelegenheit fand. Sein sicher längst vom Vater überkommenes Familienwappen mit den 2 Würfeln (ein redendes Wappen, denn „toppeln" heißt würfeln) ließ er sich 1382 in einem förmlichen Wappenbrief von Herzog Stephan III. von Bayern erneuern. Schon vorher, gerade als er 1388 als Feldhauptmann des Schwäbischen Städtebundes und als dessen erfolgreichster Diplomat den Gipfelpunkt seiner politischen Bedeutsamkeit erklommen hatte, hatte er sich mit dem Bau eines bewehrten kleinen Lusthauses außerhalb der Mauern unten im Taubertal (das bekannte Topplerschlösschen) ein persönliches Denkmal eigenartiger Prägung gesetzt — ein bis dahin und auch nachher unerhörter Vorgang, der so einprägsam seine überragende Sonderstellung dokumentierte. Das Grundstück dazu und die Bauerlaubnis hatte er sich vom Rat geben und verbriefen lassen. Welch stolze Selbstachtung spricht aus der Bauinschrift, die er nach Vollendung des Wehrturms 1389 anbringen ließ: „Diz haus mit dem graben hot der erber man Heinrich Toppler burgermeister zu der zeit zu Rotenburg mit sin selbes kost und erbeit gebawet in dem jor, do der beswerlich krieg zwischen fursten und allen edeln uff einer seit und auch allen steten, die zusamen verbunden woren, uff der ander seit in teutschen landen, und daz vorgenant haus sol Rosenthal heißen. Anno Domini 1388 und in dem nesten jar darnach." Und es konnte nicht ausbleiben, dass man diesen Adelssitz mehr und mehr als schwere Beleidigung des bürgerlichen Gemeinsinns betrachtete, hingesetzt von einem Mann, der damit sein Herauswachsen aus den engen Grenzen der Stadtgemeinde ganz öffentlich bekundete.
Weniger aufreizend, aber nicht minder sinnfällig und von noch größerem Zuschnitt, waren Topplers kirchliche Stiftungen. In der St. Jakobskirche, deren Langhausbau in dieser Zeit sicher nachhaltig von ihm unterstützt wurde, ließ er ein Joch des südlichen Seitenschiffs als Familienkapelle mit ewigem Licht gestalten. Im gleichen Jahr mit dem Schlösschen Rosenthal errichtete er 1388 eine ewige Messe mit eigener Kaplanei auf dem Zwölfbotenaltar und dotierte sie reich mit Liegenschaften, die er 1403 noch vermehrte; die Nominierung des Priesters darauf behielt er sich und seiner Familie vor. Wenige Tage später stiftete er einen ewigen Jahrtag auf demselben Altar, gleichzeitig (mit seinem Bruder Hans zusammen) eine weitere, gesungene Wochenmesse. Nicht genug damit: 1393, als er seine 2. Frau heiratete, kaufte er ein Seelgerät für seinen bereits verstorbenen Schwiegervater; 1404 dotierte er die Frühmesse in Vorbachzimmern reich, und er krönte seine frommen Werke 1406 mit einer Almosenstiftung, durch die vierteljährlich für 6 Gulden bestes Brot und Fleisch für die Armen verteilt wurden. Gewiss, großzügig wie sein Wirtschaftsgebaren waren diese Akte praktischer Frömmigkeit, wenn sie auch dem Wesen nach nicht anders zu werten sind als ähnliche Stiftungen anderer reicher Stadtbürger. Und doch steckte wohl mehr dahinter: nicht nur christliche Demut, karitatives Verantwortungsbewusstsein, sicher wie sonst auch Werkfrömmigkeit als Abzahlungsgeschäft für das Jenseits — vor allem aber Repräsentation, in den religiösen Bereich wirkendes Selbstbewusstsein, Versuch zur Sonderung und Vereinzelung eines Mannes, der sich seiner herausragenden Stellung durch und durch gewiss war. Wie sonst wäre es zu erklären, dass er erkleckliche Kosten nicht scheute, um sich sogar von der römischen Kurie Sonderprivilegien für sein religiöses Leben, sein Seelenheil zu erwerben? 1390 gewährte ihm Papst Bonifaz IX. das Recht, dass ihm sein Beichtvater bei Todesgefahr alle Sünden nachlassen dürfe, wenn seine Erben oder er selbst (falls er überlebe) nur die auferlegten Bußverpflichtungen einhielten. Ein Jahr später erwarb er sich, zusammen mit seinem Bruder Hans, vom gleichen Papst einen Sonderablass als Belohnung für ihre Beihilfe bei der Stiftung der gesungenen Messe in St. Jakob. Das sind doch geradezu Rückversicherungen eines Mannes, der es sich leisten konnte, der nicht das beste Gewissen hatte und der überdies mehr als andere mit einem plötzlichen, vielleicht gewaltsamen Tode rechnete! Noch deutlicher spricht dies ein Privileg eines römischen Kardinalpriesters aus, der 1398 Toppler und seiner Familie die Wahl eine Beichtvaters genehmigte, der sie für einen Zeitraum von 5 Jahren jederzeit von eingegangenen Verpflichtungen zu Pilgerfahrten und zur Enthaltsamkeit entbinden konnte, wenn dafür andere gute Werke vollbracht würden. Wahrhaftig: Toppler marktete selbst mit der Ewigkeit und vergaß auch dabei nie seinen Gewinn!
III.
Die politische Macht, die sich Heinrich Toppler rasch zu erwerben verstand, konnte er zunächst nur im Rahmen der bestehenden städtischen Verfassung ausüben. Das Stadtregiment lag seit Beginn des 13. Jahrhunderts in den Händen eines Zwölferkollegiums, das sich seit 1336, als sich ein 40-köpfiger Gemeindeausschuss als äußerer Rat konstituierte, innerer Rat nannte und dem die wichtigsten Entscheidungen oblagen. Je ein Bürgermeister aus beiden Räten, für ein Jahr gewählt, bildeten deren Spitze und zugleich die Häupter der Exekutivgewalt. Ratsausschüsse oder -ämter versahen die einzelnen Zweige der städtischen Verwaltung: das Steuer-, Bau-, Kriegs-, Vormundschaftsamt, die Pflegschaften über Spital und Klöster, nachdem man sich bis zum Ende des 14. Jahrhunderts die weltliche Aufsicht darüber erkämpft hatte, und weitere.
Heinrich Toppler wird etwa 30 Jahre alt gewesen sein, als man ihn 1373 zum ersten Mal in den inneren Rat wählte, dem er bis zu seinem Ende 1408 ununterbrochen angehörte. Erstaunlich ist, dass er, der Debütant auf stadtpolitischem Parkett, noch im gleichen Jahr zum ersten Mal Bürgermeister wurde. Vielleicht hängt dies mit seinen besonderen militärischen Erfahrungen zusammen, die er sich, unter Umständen sogar in fremdem Sold, bisher erworben hatte, denn in dieser unruhigen Zeit bedurfte man eines kriegserfahrenen Mannes. Gerade in den Folgejahren bis 1375 sehen wir ihn häufig an der Spitze kriegerischer Unternehmungen. Freilich blieb er nach 1373 10 Jahre lang unberücksichtigt für das höchste städtische Amt, trotz oder gerade wegen seines wachsenden Einflusses, denn diese Zeit sah ihn als hochbedeutsamen Politiker des Schwäbischen Städtebundes in fast ununterbrochener diplomatischer Tätigkeit, die ihn häufig von der Stadt fernhielt. Erst im Amtsjahr 1384/85 (Ratswahl war am Walburgistag, dem 1. Mai) wurde er zum zweiten Mal Bürgermeister, unmittelbar darauf wieder (ein ungewöhnlicher Vorgang, denn zwei Jahre hintereinander wurde einer gewöhnlich nicht an die Spitze des Stadtregiments gestellt), was mit den explosiven Verhältnissen am Vorabend des großen Städtekriegs zusammenhängen mag. Von 1388 ab wurde er dann in völliger Regelmäßigkeit bis 1403 alle 2 Jahre zum Bürgermeisteramt berufen; dann wieder, nach einer Unterbrechung von 3 Jahren, wieder zweimal hintereinander 1406—1408, bis zu seinem Ende — auch dabei läßt sich die ungewöhnliche Wiederwahl nach einer Amtsperiode aus den besonderen Verhältnissen der gespannten und zuletzt kriegerischen Zeit erklären.
Heinrich Toppler bedurfte aber schon bald nach dem Beginn seiner politischen Laufbahn nicht unbedingt des Bürgermeisteramtes, um seinen Einfluss auszuüben: gerade in den 10 Jahren zwischen 1374 und 1384, als er nicht Bürgermeister war, erwarb er sich höchstes Ansehen als Diplomat Rothenburgs und des Schwäbischen Städtebundes. Sein Ruf vor allem außerhalb der Stadt selbst machte ihn auch in den amtsfreien Jahren zum ungewählten Oberhaupt der Stadt; das geht aus vielen Briefen und Akten eindeutig hervor. In der Stadt lieh er zudem seine Kräfte auch anderen wichtigen Ämtern: mehrfach ist er als Steurer, als Beisasse des Stadt- und wahrscheinlich auch des Landgerichts, als Beisitzer des fränkischen Landfriedens, als Pfleger des Franziskaner-, später auch des Dominikanerinnenklosters nachzuweisen.
Am eindrucksvollsten kommt die Tätigkeit Topplers für seine Vaterstadt in seinen diplomatischen Missionen zum Ausdruck. Er war zwischen 1375 und 1407 der überragende Rothenburger Gesandte. Soweit Stadtrechnungen aus dieser Zeit erhalten sind, ist diese Tatsache augenfällig genug: etwa 70 derartige Fälle werden hier aktenkundig, und die wirkliche Zahl seiner Ausritte wird mindestens das doppelte betragen haben. Er saß also einen Gutteil seines Lebens im Sattel, denn diese Missionen dauerten oft wochenlang, einmal (Juli bis September 1388 nach Prag zu König Wenzel) 61 Tage! Die Stadt hat ihm natürlich die Reisekosten nach festem Satz vergütet, auch die Pferdekosten (seit 1376 jährlich 50 Pfund Heller) und die Schäden, die seine Rosse auf den langen und oft beschwerlichen Ritten erlitten.
Die unruhigen Zeiten des ausgehenden 14. Jahrhunderts, voller Rechtsunsicherheit, beständigem Lavieren zwischen verschiedenen Bündnissystemen und dem Stadtherrn, dem König, machten eine dauernde Präsenz auf den großen und kleinen politischen Bühnen der Zeit nötig, besonders für eine Stadt, die den ausgesprochenen Ehrgeiz entwickelte, im fränkisch-schwäbischen Raum eine führende Rolle zu spielen. Natürlich waren auch andere Rothenburger Räte unterwegs, vor allem (bis 1397) Peter Kreglinger, mit dem Toppler lange Zeit so etwas wie ein Duumvirat bildete, ferner Berthold Körner, Konrad Bermeter, Topplers Schwager Peter Northeimer, Richolf Nürnberger, Hans von Külsheim und andere; aber sie spielen deutlich genug nur zweite Geige. Toppler wurde gerade von außen her immer wieder zu wichtigen Verhandlungen eingeladen und aufgefordert. Das setzte ein großes Maß an Vertrauen in Oberdeutschland voraus. Man wollte ihn häufig als Schiedsrichter, so etwa 1400 bei einem Streit zwischen dem Bischof und der Stadt Würzburg. Der beste Beweis für sein hohes Ansehen bis hinauf zu den Fürsten sind die Versuche, die bösen Streitigkeiten zwischen Rothenburg und den Burggrafen von Nürnberg 1404 durch ein Schiedsgericht beizulegen: als Obmann wurde neben dem Landfriedenshauptmann Friedrich Schenk zu Limburg Heinrich Toppler bestellt, obwohl er der markante Vertreter einer der Streitparteien war! Übrigens unterhielt er zum Schenken von Limburg und zum fränkischen Landfrieden überhaupt (vor 1378 und wieder nach 1389) sehr enge Beziehungen; er wurde dann auch zum Beisitzer des Landfriedens ernannt und saß als solcher gleichberechtigt neben den Gesandten der Fürsten und Adeligen bei den häufigen Zusammenkünften dieses Gremiums. Das Ansehen Rothenburgs in fränkischen und schwäbischen Landen hat es nicht zum geringsten Teil dieser Tätigkeit Topplers zu verdanken.
Sie machte ihn in besonderem Maße geeignet zum städtischen Unterhändler gerade auch mit den erbittertsten Gegnern Rothenburgs, mit den Burggrafen von Nürnberg und dem Bischof von Würzburg. So sehen wir ihn öfters in der Mainstadt oder in Cadolzburg, um die permanenten Spannungen auszugleichen oder doch zu mindern. Auch der weniger gefährliche Territorialnachbar, die Herrschaft Hohenlohe, war häufig Ziel seiner Diplomatenritte; und dass die Pflege kollegialer, gutnachbarlicher Beziehungen zu den fränkisch-schwäbischen Schwesterstädten, vor allem mit Nürnberg, Windsheim, Weißenburg, Dinkelsbühl und Schwäbisch Hall, gerade durch Toppler betrieben wurde, kann nicht mehr überraschen.
Den Höhepunkt seiner diplomatischen Aktivität erreichte er im Rahmen des Schwäbischen Städtebundes. Hier hat er, zwischen 1377 — auf dem Rothenburger Reichstag dieses Jahres wird er den Grund dazu gelegt haben — und 1389, seine größten Erfolge errungen und die Basis gebaut für das hohe Ansehen, das er bis zu seinem Ende in Franken und Schwaben genoss. Kein Zweifel, dass er die treibende Kraft war, die den Eintritt Rothenburgs in den Bund 1378 bewirkte, obwohl die Randlage der Stadt und die gefährlich enge Nachbarschaft der stärksten Städtegegner dagegensprachen; er vollzog dieses Bündnis formell in Esslingen zusammen mit Peter Kreglinger 1378. Im Juli 1382 war Toppler der Gesandte des Städtebunds beim Reichstag zu Frankfurt, im August darauf bei König Wenzel in Nürnberg, wo er sich offenbar als Vermittler zwischen städtischen und königlichen Wünschen dem Gedanken eines neuen Landfriedens mit Einschluss der Städte näherte. Im Dezember des gleichen Jahres erlebte er dann wohl einen der dramatischsten Augenblicke seines Lebens, als er im Auftrage des Bundes zusammen mit Otto Roth von Ulm und Albrecht Kuhdorfer von Nördlingen nach Nürnberg ritt, um diese mächtige, königstreue Stadt kraftvoll und nicht ganz ohne Anmaßung zum Bundeseintritt zu bewegen, letztlich mit Erfolg. Schon im Frühjahr 1383 arbeitete er auf dem Reichstag zu Nürnberg als Bundesgesandter wiederum am Zustandekommen eines Landfriedens; im Sommer war er Städtebundsgesandter auf einem Fürstentag zu Würzburg, im Herbst weilte er 18 Tage auf einem neuerlichen Reichstag zu Nürnberg. Als der Städtebund seinem Höhepunkt und zugleich seinem Ende zustrebte, verdichtete sich seine Aktivität für ihn noch mehr: er nahm auf dem königlichen Städtetag in Nürnberg im März 1387 teil, als sich König Wenzel mit dem Städtebund aussöhnte — ein ungemein bedeutendes Ereignis, das in Nürnberg, das inzwischen dem Bund beigetreten war, mit Glockengeläute und Prozessionen gefeiert wurde, und an dem Toppler, wie es scheint, einen wesentlichen Anteil gehabt hat. Sein eigentümliches Vertrauensverhältnis zu König Wenzel empfahl ihn auch für eine besonders heikle Mission: man wählte ihn, zusammen mit dem Nürnberger Albrecht Ebner, aus, um vom Juli bis zum September 1388 von Bundes wegen in Prag mit dem König zu verhandeln, die Städte „zu verantwurten und auch ir notdurfft zu erzelen", eine Aufgabe, die nach der politischen Denkweise des Nürnberger Rats und des Rothenburger Bürgermeisters nur darin bestanden haben kann, den König zu einem energischeren Eingreifen, zur Herstellung des Friedens zwischen Fürsten und Städten unter Berücksichtigung der städtischen Wünsche zu bewegen. In diesem friedenvermittelnden Sinne war er dann auch noch Ende 1388 bei Verhandlungen mit dem Burggrafen von Nürnberg und im Mai 1389 in Bamberg mit den fränkischen Fürsten tätig. Es versteht sich, dass er auch auf dem Reichstag zu Eger im April und Mai 1389 anwesend war und dabei selbst das Ende des ruhmreichen ersten Schwäbischen Städtebundes erlebte.
Bei diesem Überblick über seine diplomatische, weithin vermittelnde und ausgleichende Tätigkeit darf freilich nicht vergessen werden, dass er, als 1388 der offene Krieg die Verhandlungen ablöste, vom Bund zum Kriegshauptmann des fränkischen Bundesviertels ernannt wurde und den Zug gegen die Herzoge von Bayern bis vor Regensburg mit befehligte. Kein Zweifel: mit allen Fähigkeiten seiner so reichen und vielseitigen Natur war er mit den Geschicken eines großen Traums der oberdeutschen Reichsstädte verbunden.
Natürlich war schon vorher Topplers offenkundige Eignung zum militärischen Führer der eigenen Vaterstadt zugute gekommen. Bezeichnenderweise finden wir ihn am Anfang seiner stadtpolitischen Karriere (seit 1373) an der Spitze von städtischen Söldnergruppen im Kampfe gegen die räuberische Unsicherheit des weiteren städtischen Umlandes. 1382 führte er eine „Reise" nach Schwaben an, wenig später eine andere Strafexpedition des Städtebundes gegen den Raubadel, 1395 ein Rothenburger Kontingent bei der Einnahme von Jagstheim und Hohenhardt. Er saß eben im Kriegssattel genauso sicher wie auf dem Diplomatenross.
Eine Reihe höchst aufschlussreicher Aktenstücke nennt ihn übrigens auch noch als leitenden Agenten, sowohl für die eigene Stadt wie für den Städtebund, einer Gruppe weithin verborgener wichtiger Nachrichtenträger, der „Kundmänner", die meist ihm persönlich berichteten und deren Bezahlung er aus eigener Tasche vorstreckte. Wie noch zu zeigen sein wird, ist gerade seine schwer durchschaubare Rolle kurz vor seinem Ende mit der Tätigkeit eines solchen Spions, vielleicht seines eigenen Bruders Hans, in Böhmen verknüpft.
Topplers für jedermann sichtbare wirtschaftliche Erfolge und sein immenser Reichtum qualifizierten ihn natürlich auch in besonderem Maße für einen großen Einfluss auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Stadt. Er lässt sich naturgemäß nur sehr unzulänglich aktenmäßig erfassen, mit einer, allerdings höchst bedeutsamen Ausnahme: seiner Rolle bei der Aufnahme langfristiger Kredite für die Stadt in Form von sogenannten Leibgedingen und Ewiggeldern. Diese Kreditpolitik aus geringen Ansätzen heraus zu einem machtvollen, wenn auch riskanten Instrument der großen Stadtpolitik entwickelt zu haben, ist sicher ein Verdienst Topplers. Schon 1375 war er in diesem Sinne in Speyer und Mainz, damals den wichtigsten Geldleihern Rothenburgs, tätig; und als er 1384 zusammen mit Peter Kreglinger 33 Tage in Speyer verhandelte, so geschah das zweifellos im Zusammenhang mit dem großzügigen Neuabschluss von Leibgedingsverträgen mit Speyerer Bürgern. Auch bei der Erschließung einer ähnlich bedeutsamen Kreditquelle in Nürnberg war er sicher maßgebend beteiligt; er war ja über seine zwei Kinder auch verwandtschaftlich mit dem Nürnberger Patriziat verbunden. Mehrmals übermittelte er, auf geschäftlichen oder diplomatischen Reisen nach Nürnberg, die fälligen Zinssummen; bei der Neuaufnahme von Nürnberger Krediten 1407 (im Zeichen des drohenden Krieges mit den Burggrafen!) brachte er eine Summe von fast 6000 Gulden mit nach Hause.
Die kühne Erwerbs- und die übrige großlinige Außenpolitik, die ja nicht zum geringsten Teil auf Topplers Konto zu buchen sind, brachten die Stadt dennoch in gelegentliche Geldnöte. Beim Kauf der Herrschaft Nortenberg 1383, einer der wichtigsten Erwerbungen für das sich rundende Stadtterritorium, war nicht genug Bargeld bei der Hand. Da die Zeit drängte, streckte Toppler selbst fast 2000 Gulden vor, und da einige andere reiche Bürger das gleiche taten, konnte die Kaufsumme prompt und bar erlegt werden. Auch bei anderen städtischen Geldtransaktionen war er stets bei der Hand, um kurzfristige Insolvenz der Stadt durch derlei Vorschüsse zu überbrücken. Noch wenige Monate vor seiner Gefangennahme lieh er der Stadt 700 Gulden, und kurz vorher hatte er die Bemühungen der Stadt um die Anhäufung großer Getreidevorräte (der Krieg mit den Burggrafen lag in der Luft) dadurch unterstützt, dass er aus seinen Getreideböden einmal 327 Malter, ein andermal für 2300 Gulden Getreide überließ. Als reichster Bürger Rothenburgs war er, in eigenartiger Verquickung privater und städtischer Interessen, eben stets bereit, nicht nur Fähigkeiten und Beziehungen, sondern auch seine wirtschaftliche Stellung in die Waagschale des Gemeinwesens zu werfen und sie dadurch zu riskieren. Deswegen scheute er sich auch nie, sich Bürgschaften für städtische Schulden aufzuladen. Wahrhaftig: er konnte wirklich rechtens, mit zurückhaltendem, aber selbstbewusstem Stolz 1405 die Stadt um den Schirm über sein Testament bitten und hinzusetzen, „.. ob ich der stat oder der gemein ye dinst oder lieb geton habe"; er hat zu seiner Zeit der Stadt weit mehr Dienste getan als jeder andere.
Für die Außenwelt war er ja längst zum personifizierten Inbegriff der Stadt Rothenburg geworden. Viele Schreiben von allen Seiten, die an sich den gesamten Rat betrafen, wurden an ihn persönlich gerichtet, so 1402 in einer Reichssteuersache von Herzog Ludwig von Bayern, der ihn darin als „lieben besundern" bezeichnet. Auch der Markgraf Bernhard von Baden nannte ihn 1408, als er, wenn auch vergeblich, für ihn intervenierte, seinen „lieben getrewen lehenman". Noch vertrauter wirkt die Anrede „lieber Heintz" des Friedrich von Hohenlohe und einiger stadtfreundlicher Adliger. — Freilich musste Toppler auch im Schlimmen mit Namen und Besitz für seine Stadt einstehen; viele Edelleute hatten allen Grund, ihn zu fürchten und zu hassen. 1396 stiftete Herolt von Neuenstein einen seiner Knechte an, einen Topplerschen Hof bei Schillingfürst zu verbrennen; 1404 versicherten ähnlich die Helfer des Retzlin von Wiesenbach, eines notorischen Stadtfeindes, „sie welten Heinrich Topplern allergernst brennen".
Kann es verwundern, dass der Graben zwischen Zuneigung und Hass auch quer durch Rothenburg selbst verlief? — Man hat gelegentlich in Topplers Stadtpolitik einen demokratischen Zug festzustellen geglaubt, ausschließlich auf Grund einer Chroniknachricht, nach der ihn auf jedem Kirchgang eine Schar seiner Anhänger aus den niederen Schichten begleitete. Ganz von der Hand zu weisen ist dies freilich nicht, wenigstens für die Zeit seiner engen Verbindung mit den im wesentlichen demokratisch-zünftisch regierten schwäbischen Städten; hätte er doch 1382 bei seinen Verhandlungen um den Bundesbeitritt Nürnbergs gefordert, nicht mit dem patrizischen inneren, sondern dem äußeren Rat als Gremium der breiten Bürgerschaft zu diskutieren! Auch das Beispiel der Nachbarstadt Dinkelsbühl, wo 1387 die Zünfte sich die Teilnahme am Stadtregiment erkämpften, mag nicht ohne Auswirkung geblieben sein. Aber Toppler war nun einmal ein Schwerreicher, der sich von Anfang an als Exponent einer Art Neu-Patriziat sah, der sich dem exklusiven Nürnberger Rat ebenbürtig wusste, als er 1405 zwei seiner Kinder mit einflussreichsten Familien daraus verband, der sich auf gleiche Stufe stellte mit dem Landadel, und dessen Sohn sich 1407 „ Junker" titulierte. Überdies hätte es schwer zu seinem hochfliegenden Ehrgeiz und Selbstbewusstsein gepasst, wenn er seine Machtposition einem Stadtregiment der Schuster, Schneider und Bäcker hätte unterstellen sollen. Nein — er ließ sich die Sympathien einer leidenschaftlich für ihn entflammten Bürgerpartei wohl gefallen und wäre wohl auch kaum davor zurückgescheut, sich ihrer notfalls zu bedienen; ein politisches Credo Topplers dürfen wir daraus nicht entnehmen. Das verbieten schon die zahlreichen aktenkundig gewordenen Widerstände gerade einfacher Bürger, die stellenweise bedrohlich massive Formen annahmen. Schmähworte und Drohungen, teilweise in Trunkenheit und nicht selten in Topplers eigenem Weinhaus geäußert, führten häufig zu Gefangennahme, gerichtlicher Verhandlung und empfindlichen Strafen. Manchmal waren die „üppigen reden" gegen Toppler recht peinlich für ihn, drückten jedenfalls die Gesinnung des gemeinen Mannes aus. So, als 1392 ein gewisser Kraft Schober ihn beschuldigte, er habe seine Frau „etwie dicke geminnt" und es nehme kein gutes Ende, „dass er erbern leuten noch iren weibern und noch iren tohtern mit schanden stunde". Bei derlei ehrenrührigen Vorwürfen fällt es natürlich schwer, deren Stichhaltigkeit nachträglich noch zu erkennen; vermutlich sind es wilde, anti-patrizisch aufgebauschte Mären, vielleicht sogar Teile einer geschickt von verborgenen Hintermännern gelenkte Propaganda. Schlimmer, weil ins Allgemeine gerichtet, waren schon Anschuldigungen einfacher Bürger und ganzer Handwerkergruppen, wie etwa die trunkene Rede, in die einer 1388 bei einem Streit ausbrach: „Tet im daz Peter Kreglinger und Heinrich Toppler, er stiez in sie, waz er hat, und stund joch daz rade vor der tur". Ganz ähnlich sieben Jahre später: „Wern unser 12 oder mer, daz wir dann alle gemeinlichen in den rat gingen, so sie bei einander seßen, und Heinrich Toppler und sunst auch zwen oder drey mit im zu tode slugen, so lieffen die gemeind zu und hoften, wir wolten die andern wol behaben." Das waren schon revolutionäre Töne, die nicht allein Toppler angingen, sondern die Herrschaft des Patriziats überhaupt bedrohten.
Toppler war eben der Block, an dem sich die Wege kreuzten und die Geister schieden. Auch innerhalb des Patriziats selbst, wenngleich die Quellen sich darüber fast vollständig ausschweigen. Aber eben die einzige Ausnahme davon, die Rede des 1394 nach Würzburg geflüchteten reichen Hans Wern, schlägt verblüffend genau in die gleiche Kerbe wie die wilden Reden der kleinen Leute; er wolle, so sagte er, nicht für tausend Gulden wieder Bürger in Rothenburg werden, „wan er welt ungern leiden, daz zwen oder drey sein herren wern" — damals lebte noch Topplers Gefährte, Peter Kreglinger. Toppler aber überlebte, blieb allein, sicher respektiert von vielen, geliebt vermutlich nur von wenigen, gehasst aber schließlich von einer immer mehr anwachsenden Schar, die nur auf eine günstige Stunde warteten, ihn von der Höhe seiner Stellung, seiner Macht zu stürzen.
Um 1404 scheint Toppler der Stadtpolitik müde geworden zu sein. Die Widerstände gegen seine überlegene Stellung hatten ihn wohl mürbe gemacht, er wurde alt. Von 1403 bis 1406 wurde er nicht mehr zum Bürgermeister gewählt; oder verzichtete er selbst auf eine Wiederwahl? Er begann, sein Haus zu bestellen. Im Januar 1405 verheiratete er zwei seiner Kinder nach Nürnberg; kurz vorher, am 24. Januar, hatte er sein Testament gemacht. Er schickte sich an, Teile seines Besitzes gegen Geld zu veräußern, wobei uns nur Verkäufe an die Stadt überliefert sind, diese allerdings in beträchtlichem Umfang: 1406—1407 Häuser in der Stadt, die er gegen Hauszins vermietet gehabt hatte; 1405 lieferten seine beiden Schwiegersöhne Haller und Wernitzer und sein Vetter Heinrich der Goldschmied 327 Malter Hafer, einen Großteil des städtischen Jahresbedarfs, und ein Jahr darauf verkaufte er selbst der Stadt für 2300 Gulden Getreide. Das war zweifellos ein Ausverkauf, den wir als Vorstufe für eine Lösung aus den Bindungen an seine Vaterstadt ansehen müssen. Dazu kam es aber nicht. Die bedrohliche politische Lage, die sich über der Stadt zusammenzog, zwang ihn, sich noch einmal in den Dienst der Stadt zu stellen, die ihm schon keine rechte Heimat mehr war.
IV.
Wie war es zu dieser Zwangslage gekommen? — Rothenburg hatte sich zwischen 1370 und 1400 ziemlich unbehelligt zwischen den mannigfachen, teilweise bösen Gefahren hindurchgesteuert, die alle oberdeutschen Städte bedrohten. Es war gelungen, durch ein Lavieren zwischen verschiedenen Bündnissystemen immer so viel Rückendeckung gegenüber den Stadtfeinden zu gewinnen, dass ein großartiger innerer Ausbau ungestört vor sich gehen konnte. Die imposanteste Leistung war das Hinausgreifen über die Stadtmauern, der Erwerb eines umfang-, ertrag- und volkreichen Umlandes, eines Territoriums, das der Stadt eine solide wirtschaftliche Basis schuf, gleichzeitig die begehrlichen Territorialnachbarn in sicherer Distanz von der Stadt hielt. Am ärgerlichsten war dies für die beiden, um die Vorrangstellung in Franken rivalisierenden Mächte: für den Bischof von Würzburg, entscheidender noch für die Burggrafen von Nürnberg, deren eigene territoriale Konsolidierungspläne gerade in diesem Gebiet empfindlich durch Rothenburg gestört wurden.
Unter König Wenzel konnte noch ein erträgliches Gleichgewicht erhalten werden; nicht zuletzt hatte Heinrich Toppler mit seinen weitreichenden Verbindungen und seinem großen Ansehen Anteil daran. Mit Wenzels Absetzung und dem Herrschaftsbeginn Ruprechts wandte sich das Blatt entscheidend zu ungunsten Rothenburgs. Das berechtigte Misstrauen der Stadt gegenüber dem neuen König, dem Schwager Burggraf Friedrichs VI. von Nürnberg, das rücksichtslose Vorgehen des Burggrafen, der ganz unverhüllt eine gewaltsame Auseinandersetzung mit der Stadt suchte, nicht zuletzt das Ausscheiden Topplers aus der aktiven Stadtpolitik 1403, mögen gemeinsam dabei mitgewirkt haben. Zwar kam es zu einem erträglichen Kompromiss zwischen Rothenburg und den Burggrafen im April 1404, an dem Toppler mitgewirkt zu haben scheint; zwar konnte sich Rothenburg ein Jahr später mit Bischof Johann von Würzburg verbünden und dadurch die burggräfliche Übermacht einigermaßen wettmachen. Aber die Stadt verstand es nicht, diese Verschnaufpause diplomatisch zu nutzen. Sie scheint sich, ihres überragenden Diplomaten beraubt, in diesen kritischen Jahren nach allen Seiten hin recht ungeschickt verhalten zu haben — und das war verhängnisvoll bei der festen Entschlossenheit des Gegners, die Anmaßung der zu mächtig gewordenen Stadt endgültig zu beseitigen. Man steigerte sich gegenseitig in immer schärfere Provokationen hinein, bis diese in der Vorladung der Stadt vor das Landgericht des Burggrafentums gipfelten. Das schuf eine äußerst bedrohliche Lage deswegen, weil König Ruprecht das Privileg des gefreiten Gerichtsstandes für die Stadt nicht erneuert hatte. Rothenburg antwortete kompromisslos, aber doch ungeschickt, mit einer Gegenklage vor dem Rothenburger Landgericht, das sowieso seit langem und immer wieder ein Stein des Anstoßes gewesen war. Die Zeiten standen auf Sturm, der Krieg schien unvermeidlich, der König drückte sich um ein schiedsrichterliches Eingreifen herum, der fränkische Landfrieden erwies sich, da zwei seiner wichtigsten Teilhaber Partei waren, als zu schwach. In dieser verfahrenen Situation besann sich die Stadt auf Toppler; am 1. Mai 1406 wählte man ihn wieder zum Bürgermeister.
Aber selbst dessen so oft bewährtem diplomatischem Geschick gelang ein Ausgleich nicht. So blieb ihm als ultima ratio nur die intensive Vorbereitung auf den Kriegsfall übrig: Abschluss und Verstärkung der Stadtbefestigung, Ausbau und kriegsmäßige Ausrüstung der Burgen und befestigten Friedhöfe im Umland, systematische Vorratswirtschaft, Organisation der bürgerlichen Wehrkraft. Wichtiger noch war die Suche nach Bundesgenossen, die nach der politischen Konstellation nur unter den königfeindlichen Mächten zu finden waren. So liefen seit Januar 1407 die Verhandlungen mit dem opponierenden Marbacher Bund, der sich durch die Teilnahme der schwäbischen Städte besonders als Bündnispartner empfahl. Im Mai 1407 trat ihm Rothenburg bei, allerdings unter recht ungünstigen Bedingungen, was die Waffenhilfe für den Ernstfall betraf.
Wesentlich weitgreifender, aber auch ungemein riskanter, war die Fühlungnahme mit dem abgesetzten König Wenzel in Prag, der die Hoffnung auf die Wiedergewinnung der deutschen Königskrone noch nicht aufgegeben hatte, der mit Hilfe einer wachsenden Schar von Anhängern, darunter den Herzogen Rudolf von Sachsen und Ernst von Bayern, versuchte, wieder festen Fuß im Reiche zu fassen. Seit März 1407 waren ununterbrochen Boten und Gesandtschaften zwischen Rothenburg und Böhmen unterwegs. Die treibende Kraft dabei war unbestreitbar Toppler; er hatte die besten Verbindungen zu Wenzel vor 1400. Der Schritt war freilich verzweifelt und beruhte wohl auch auf einer Fehleinschätzung der Möglichkeiten, die den ruprechtfeindlichen Mächten gegeben waren — eine Alterserscheinung, hybride Überheblichkeit oder doch eben nur ein letzter Strohhalm, an den sich Toppler in einer ausweglos scheinenden Lage klammerte?
Toppler war in diesen aufregenden Monaten nicht selbst in Böhmen zu Verhandlungen; Lienhart Eßlinger und Konrad von Inchenhofen waren die Rothenburger Gesandten in Prag. Außerdem hatte Toppler aller Wahrscheinlichkeit nach einen besonders vertrauten Agenten in der nächsten Umgebung Wenzels: seinen Bruder Hans. Wenig vorher, Ende November 1406, hatte dieser einen schweren Zusammenstoß mit dem Rat gehabt, dem er bei einer vormundschaftlichen Entscheidung Gesetzesbeugung und Parteilichkeit vorgeworfen hatte. Nur die Intervention seines Bruders Heinrich, des Bürgermeisters, und seines Schwagers Peter Northeimer bewahrten ihn vor empfindlicher Strafe, er sollte aber bis zum l. Mai 1407 nicht mehr im Rate sein. — Nun sind schon lange zwei an Heinrich Toppler gerichtete Briefe aus Böhmen vom Mai und August 1407 bekannt, welche die Anrede „lieber Bruder" tragen. Man hat darunter bisher einen verschlüsselten Namen vermutet. Ich meine, dass man hinter dem Absender wirklich Topplers Bruder Hans zu suchen hat, den Toppler als geheimen Unterhändler nach Böhmen geschickt hatte, vielleicht, um ihm die Möglichkeit einer Rehabilitierung zu geben, vielleicht auch nur, um ihn von Rothenburg wegzuhaben. — Dessen letzte Botschaft aus Prag vom 7. August fiel aber, zusammen mit einem Brief König Wenzels und einem von dessen Kanzler an Rothenburg, in die Hände der Partei König Ruprechts — ein böser Schlag, denn die hochverräterische Konspiration Rothenburgs mit Wenzel wurde dadurch offenkundig, und Ruprecht beeilte sich anfangs September, Kopien der drei verhängnisvollen Missiven an alle süddeutschen Reichsstände zu schicken, die natürlich mit Ergebenheitsadressen antworteten. Was blieb ihnen schon übrig, so lange die Opposition keinen entscheidenden Schritt tat?
Denn König Wenzel wartete ab und griff nicht ein, als nun die burggräfliche Klage gegen Rothenburg beim königlichen Hofgericht in Heidelberg bestätigt und schließlich die Stadt am 21. Juli 1407 in die Reichsacht erklärt wurde — noch bevor die verräterischen Briefe publiziert worden waren, die also mit der Achterklärung in keinem Zusammenhang standen. Der Burggraf hatte schon längst auf diesen Fall zu gerüstet, hatte vor allem den Bischof von Würzburg als Bundesgenossen, dazu eine beträchtliche Reihe von fränkischen Adligen gewonnen und Söldner geworben. Am 17. Juli, schon Tage vor der Erklärung der Reichsacht, schlug er los, zunächst gegen die stärksten Festungen des Rothenburger Gebietes, Habelsee, Nortenberg und Endsee, die nach tapferer Gegenwehr fielen; dann gegen die Stadt, die von allen Seiten eingekreist und ausgehungert werden sollte, für welchen Fall Rothenburg allerdings gründlich vorgesorgt hatte. Es war aber Erntezeit: der gesamte Getreideertrag des Rothenburger Hinterlandes fiel in die Hände des Feindes oder wurde auf dem Halm zerstört. Das war schon eine bittere Pille, wenn die Stadt selbst auch im Schütze ihrer starken Mauern sicher war.
Inzwischen hatten schon Ende Juli Vermittlungsversuche Nürnbergs und der schwäbischen Städte eingesetzt, die zunächst an der starren Haltung beider Parteien, nicht zuletzt auch Rothenburgs, scheiterten. Erst als Ende August bevollmächtigte Vertreter des Marbacher Bundes als Unterhändler erschienen, kam es, nach sechswöchigem Kampf, am 2. September zu einem Waffenstillstand, der für Rothenburg sehr ungünstige Bedingungen zeigte, so dass die Lage nicht gut für die Stadt war. Die anschließenden Friedensverhandlungen waren schwierig, wurden vor allem getrübt durch die (bewusst?) schon am Folgetage des Waffenstillstands erfolgte Publikation der drei verhängnisvollen böhmischen Briefe und das rücksichtslose Auftreten der Sieger im beherrschten Gebiet. Schließlich hatte König Ruprecht aber doch Interesse an einer raschen Beilegung des Konflikts; sicher wollte er den Burggrafen nicht zu mächtig sehen. In Mergentheim wurde am 8. Februar 1408 der Frieden geschlossen, der im ganzen viel günstiger ausfiel als der Waffenstillstand, vor allem die Burgen, die zwar zu schleifen waren, wieder an die Stadt zurückgab. Der Burggraf, der durch seine Kriegsanstrengungen an den Rand des finanziellen Ruins gekommen war, sah sich in seinen Hoffnungen betrogen, großen Gebietsgewinn als Beute nach Hause zu tragen.
Rothenburg wurde aus der Reichsacht entlassen. Es war besiegt worden, aber glimpflich davongekommen. Am schmerzlichsten war es der Stadt zunächst, dass ihr Hinterland durch das Schleifen der Burgen wehrlos geworden war, und dass es empfindliche wirtschaftliche Einbußen erlitten hatte: die gesamte Ernte eines Jahres war vernichtet. Beides traf den Lebensnerv Rothenburgs schwer. Der Rat suchte einen Sündenbock für seine Niederlage und gleichzeitig eine Möglichkeit des finanziellen Ersatzes für seine Verluste — beides deutete auf Heinrich Toppler.
Sieben Wochen nach dem Friedensschluss, am 30. März 1408, wurde Heinrich Toppler vom Rat gefangengesetzt und unter Anklage gestellt, mit ihm sein Sohn Jakob und sein Vetter Heinrich, der Goldschmied. Toppler hatte das Unheil kommen sehen, seine Frau und seine unmündigen Kinder nach Nürnberg gebracht und durch seinen Vetter, der damals als Steurer oft in Nürnberg zu tun hatte, einen großen Teil seines flüssigen Vermögens (Geld, Gold, Silber, Kleinod und Briefe werden genannt) dorthin schaffen und bei seinen Verwandten verwahren lassen. Er selbst floh nicht; er sah wohl gelassen seinem Prozess entgegen. Unterschätzte er die Opposition im Rate und ihren Hass? Vertraute er auf die Intervention seiner einflussreichen Freunde zu sehr? Bagatellisierte er die Gewichtigkeit der Anklagepunkte?
Über diese wissen wir sehr wenig Bescheid — Prozessakten sind nicht erhalten und wohl gar nicht geführt worden. Spätere Chroniken nennen einige Klagartikel: unberechtigte Abhaltung eines Untertanengerichts im Hause Topplers; Transferierung großer Vermögenswerte ohne Entrichtung der Abzugssteuer, des „nachzunken"; Vorwurf, er habe sich ein „Dominat" in der Stadt anmaßen wollen; Verkauf von Liegenschaften an ausherrische Bauern. Alles andere (etwa, dass Toppler mit dem Burggrafen um die Stadt gewürfelt, „getoppelt", und verloren haben soll) erscheint als legendäre Zutat, wie überhaupt der Mythos sich rasch seiner Person bemächtigte. Die Stadt selbst sprach bei ihren Verhandlungen mit König Ruprecht von 10 bis 12 Artikeln, von denen jeder genüge, ihn an Leib und Leben zu strafen. Es fiel wohl einer anti-topplerischen Fronde nicht schwer, aus dem langen Wirken Topplers eine Reihe von Vorfällen herauszugreifen, die gegen Recht, Herkommen und Statuten verstoßen hatten. Und wenn die Vorwände noch so nichtig waren — sein Schicksal war mit seiner Gefangennahme besiegelt. Das Gerichtsverfahren (wenn es ein solches gab), die Ratsverhandlungen dieser Tage werden uns immer ein Geheimnis bleiben; der Ausgang stand jedoch von vorneherein fest: die Todesstrafe. Er wurde im Gefängnis unter dem Rathaus hingerichtet, wahrscheinlich enthauptet. Wir wissen nicht einmal den genauen Todestag; sein Epitaph in der Topplerkapelle der St. Jakobskirche nennt zwar den 13. Juni 1408, doch meldete die Stadt dem Markgrafen von Baden auf dessen Intervention schon am 26. Mai: Toppler habe sein Leben nicht behalten können. Die Vermutung liegt nahe, dass der Rat allen Grund hatte, nicht nur den Prozess, sondern auch den Zeitpunkt der Hinrichtung zu verschleiern. Die Widerstände gegen das brutale Vorgehen des Rates, in und außerhalb der Stadt, vermehrten sich wohl von Tag zu Tag. Zwar waren die engsten Verwandten Topplers gefangengesetzt, geflohen oder durch Urfehden zur Untätigkeit gezwungen — mit zwei überraschenden Ausnahmen übrigens: Topplers Bruder Hans und sein Schwager Peter Northeimer, deren Rolle bei seinem Sturz man sich dementsprechend vorstellen kann. Er hatte aber sicher in der Stadt noch viele Parteigänger, die dem Rat gefährlich werden konnten. Gegen sie griff man rigoros durch: als einer von ihnen den Mut hatte, öffentlich gegen das Vorgehen des Rats zu protestieren, und behauptete, „der rat hab an Heintz Topplern geton alz Judaz an unserm herren got", drohte ihm schwerste Leibesstrafe. — Auch den Interventionen von außen wollte man durch vollendete Tatsachen einen Riegel vorschieben; Nürnberg, die übrigen fränkischen Städte, der Schwäbische Städtebund hatten bestürzt von der Gefangennahme Topplers erfahren und drängten auf Verhandlungen mit Rothenburg deswegen.
Am gefährlichsten aber erschien der Stadt das Eingreifen König Ruprechts in den Prozess. Das ist nun allerdings der schäbigste Abschnitt aus diesem Schlusskapitel: am 24. April 1408 — Toppler saß bereits mehr als drei Wochen im Gefängnis — erhob das königliche Hofgericht Klage auf das ganze Vermögen Topplers wegen dessen Missetaten, die er dem König und dem Reich getan habe — das war, obwohl nie ausdrücklich genannt, nichts anderes als seine Verbindung mit dem Prager Hof während der Fehde mit dem Burggrafen 1407. Erst nach einem Jahr, und erst, nachdem Toppler vom Rat gestürzt war, kam der König mit seiner Forderung — kein Zweifel, die Begehrlichkeit Ruprechts nach dem großen Toppler'schen Vermögen veranlasste die hofgerichtliche Klage! — Es folgte ein unwürdiger Schacher zwischen König und Stadt, der zunächst am 4. Juli 1408 vertraglich geregelt wurde, wonach Rothenburg unter anderem dem König 7000 Gulden zu zahlen hatte, ganz eindeutig als Anteil am Toppler'schen Vermögen. Am 5. November kam schließlich, vor allem durch die Vermittlung des Landfriedenshauptmanns Friedrich Schenk zu Limburg, ein endgültiger Kompromiss zustande: die Stadt solle die Hinterlassenschaft Heinrich Topplers gemäß dessen Testament an seine Erben austeilen; diese sollten alle Güter in Stadt und Markung eine Meile um Rothenburg innerhalb eines Jahres verkaufen, der Stadt für die Auslagen ferner 10 650 Gulden bezahlen. Die Toppler'schen Kinder sollten die Stadt unbehelligt verlassen dürfen, nachdem sie die gebührliche Nachsteuer entrichtet hätten. — Das geschah — sie zogen nach Nürnberg, erwarben das dortige Bürgerrecht und gründeten bis ins 17. Jahrhundert hinein blühende angesehene ehrbare Familien.
Mit diesem Exodus fiel der Vorhang über ein Kapitel der Entwicklung der Stadt Rothenburg, das ihr Ansehen, Glanz und Macht verliehen hat wie keine andere Epoche vor- und nachher. Ihr Nachhall ist nie ganz aus Rothenburg entwichen, bis heute nicht, denn vieles, was die unverwechselbare Eigenart dieser Stadt ausmacht, führt zurück auf diese Jahrzehnte, und mit ihnen auf den Mann, der ihnen wie kein anderer das Gepräge gegeben hat: auf Heinrich Toppler, den großen Einzelnen, der so viele Züge mit den Condottieri der italienischen Renaissance dieser Zeit gemeinsam hat, der aber mit seinem übergroßen, auf eigene und auf die Erhöhung seiner Stadt gerichteten Ehrgeiz scheitern mußte an dem notwendig kleineren Zuschnitt seiner Zeit und seines Lebensraums.
Dr. Ludwig Schnurrer
QUELLEN UND LITERATUR
Ein reichhaltiges Urkunden-, Akten- und Chronikmaterial liegt im Stadtarchiv Rothenburg, im Hauptstaatsarchiv München und im Staatsarchiv Nürnberg. Die wichtigsten Stücke daraus sind gedruckt in:
Deutsche Reichstagsakten Band I—VI (1867— 1888).
Mit freundlicher Zustimmung des Autors Dr. Ludwig Schnurrer.
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